Es ist Montag, 15:00 Uhr und das hier
ist ein Brief von mir an dich.
Danke fürs Öffnen und Lesen.
Felix
etwas aus…
meiner Kamera
Aufgenommen am 01.09.2023 21:27 Uhr “Die Ärzte” Offenbach, Stadthalle
Für einige ist das gesamte Konzert über “Zeit zum Bier holen”
dem Film
True-Crime Podcasts sind ja gerade angesagt…wie wäre es also mit zwei Filmen über Killer? Beide ganz verschieden in ihrer Wirkung, beide sehenswert. Melina und Ich haben „Natural Born Killers“ von Oliver Stone und „Brügge sehen … und sterben?“ (wie sperrig kann ein deutscher Titel sein?) von Martin McDonagh, an aufeinander folgenden Tagen gesehen.
NBK fordert unsere Aufmerksamkeit heraus. Der Ablauf ist lose, die Bilder kippen ungewohnt von einer Seite zur anderen. Es ist ein psychedelischer Trip der Gewalt. Eine Kritik an US-Amerikanischer Verherrlichung von Brutalität. Wer sich als Zuschauer „fordern“ will…aktuell auf Netflix.
„Brügge“ ist anders. Es ist eine intelligente, konsistent erzählte, tragisch-komische Geschichte. Mit drei Hauptdarstellern (Colin Farrell, Brendan Gleeson, Ralph Fiennes) auf höchstem Niveau. Wie bei Martin McDonaghs Drehbüchern typisch, brauchen die grandiosen Dialoge und skurrilen Situationen selten Bombast drum herum, sondern entfalten sich ganz still. Wegschauen oder -hören kann man trotzdem nicht. Unbedingt schauen…kostenlos auf Netflix und Amazon Prime.
meinem Tagebuch
Vom 01.09.2023 15:03 Uhr Freitag in der Stadtbibliothek Wiesbaden
“Die alte Frau darf sich hier neben mir gerade was am großen Drucker ausdrucken und fragt ob es nicht auch weisses Papier gäbe… offensichtlich nicht. Was eine Frage. Das weisse Papier ist nur für Leute die nachfragen… mein Gott. So ich leihe jetzt die Bücher aus, gehe nochmal aufs Klo und dann ab zum Bahnhof.”
den Kopfhörern
Es ist der erste September, 21:28 Uhr, Offenbach. Die Ärzte spielen „die Banane“, der 21. Song des Abends. In den Fluren vor der, nach Bockwurst und Pizzateilchen riechenden, Stadthalle stehen genug Menschen um ein weiteres Konzert zu füllen; und da sitze ich und tippe den Text hier in die Notizen-App.
Weil ich nichts fühle, mir der Rücken weh tut und ich durchgeschwitzt keine Lust mehr auf verbrauchte Luft habe.
Die Ärzte spielen drei Stunden, hauptsächlich Songs aus der zweiten Reihe, und das selten richtig „tight“. Jeder Song eignet sich zum Bier holen, All Filler, no Killer… ich übertreibe natürlich und gönne Farin, Bela und Rod auf der Bühne von ganzem Herzen, ihre „sperrige“ Setlist.
Die Drei können sich das erlauben. Erst eine Woche vor Start die Tour ankündigen, dann innerhalb von Minuten über die eigene Website alle Tickets ausverkaufen und dann den Großteil der Hits weglassen.
Die Fans, überwiegend „bebrillt“ und mit Bauchansatz nehmen und feiern was sie vorgesetzt bekommen. Ein 50 jähriger und sein pubertärer Sohn recken gemeinsam die Hände in die Luft, die Kinder auf den Schultern tragen Gehörschutz und wippen nach zwei Stunden gelangweilt im Takt des Elternteils.
Nichts gegen die Ärzte…die sind wichtig für die deutsche Kultur, weil sie Haltung zeigen und sich gleichzeitig nicht ernst nehmen.
Wahrscheinlich bin ich heute einfach „unrockbar“…das dröhnt gerade, es ist 22:02 Uhr, aus den offenen Flügeltüren. Noch eine Stunde…
Auf dem Boden sitzend schaue ich auf die Liste der Bands die schon hier gespielt haben: Jimi Hendrix, Black Sabbath, The Who, Metallica, Run DMC, Ramones, Nirvana, Rage against the Machine, Nick Cave, Radiohead…
Jetzt ist 22:15 und der erste Hit lässt die Halle aufatmen und eskalieren…“Es ist nicht deine Schuld…“ Alle singen und ich bekomme Gänsehaut.
mir
Ich erinnere mich an meinen ersten Auftritt mit den Man-E-Faces. Wir spielen in der Kreativ-Fabrik vor einer krassen Band aus Arizona und müssen unseren Song “Kill your Idols” zweimal neu beginnen weil ich verkacke. “Die Ärzte” juckt das nicht mehr… oder hat es vielleicht noch nie.
Nächsten Montag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Wenn du möchtest antworte mir auf diesen Brief.
hochachtungsvoll
dein Felix