Ein Brief aus der Gegenwart, 2023
#28 - Ein sehr langer Flug durch die Weiten der Belanglosigkeit.
Hey Du,
2023 ist bald vorbei. Es wird im Rückblick ein wichtiges Jahr sein:
“Post-Pandemie”, “Prä-KI-Revolution”. Ein Jahr das für mich persönlich und viele andere in die Sinn-Krise führt.
Es gibt nicht mehr nur die “Midlife-Crisis”, mittlerweile hat sogar die Quarterlife-Crisis einen Wikipedia-Artikel. Der Auslöser scheint hier der Übergang von akademischer in reale Welt, der häufig in der “Endphase des ersten Lebensviertels”, bis 29 stattfindet. Wer heute 30 ist wird also wohl weit über hundert… ob das eine gute Nachricht ist…
Aber geht es wirklich nur um den Übergang von Schule in Arbeitswelt?
Geht es im Jahr 2023 nicht viel mehr um die Übergänge:
Schule ➔ Entbehrlichkeit
Schule ➔ Unsicherheit
Schule ➔ Ablenkung
Wären die letzten Jahre ein Laborexperiment gewesen, dann wäre es an Bösartigkeit nicht zu übertreffen gewesen. Eine Pandemie, die uns als einzelne Individuen isoliert, die uns lebenswichtige Gemeinschaft und Nähe nimmt.
Gefolgt vom Versprechen, dass lernende Maschinen nun unsere letzten, menschlichen Bastionen übernehmen: Kreativität, Unkonventionelles Denken, Ganzheitlichkeit. Bis jetzt war es doch immer nur um die Ersetzung unserer Körper gegangen, aber unser Geist? unsere Intelligenz?
Erst isolieren, dann Bedeutung nehmen. Eine perfide Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Aber wie etwas bewältigen, dass wir nicht verstehen?
Bis jetzt haben wir (“Normal-Intelligenten”) doch fast alles technische irgendwie verstehen können…(Quanten-Physik und dergleichen mal ausgenommen)
Die Menschheit konnte verstehen wie das mit E-Mails funktioniert, wie Pacman lebendig wird, wie eine Seite im Internet gebaut wird… Cloud Speicher, Ebay, Soziale Medien - alles noch nachvollziehbar. Genau wie MP3, Iphones und Google Übersetzer. Sogar die Grundidee von Krypto und Blockchain kann den meisten von uns noch näher gebracht werden.
Aber 2023 ist das vorbei.
Die lernende Maschine entwickelt sich auf eine Art und Weise, wie sie nicht mal die Erschaffer vorhersehen können. Neuronale Netzwerke, unkontrollierte Ergebnisse…und das alles rasend schnell. Kreatives, unkonventionelles Denken soll dem Menschen noch exklusiv zur Verfügung stehen? Ich denke dass es nur nötig ist der Maschine zu sagen, dass sie unkonventionell denken soll, dann wird sie es tun. Sie wird es vermutlich auch tun, ohne dass sie es gesagt bekommt.
Wir sind schon mitten drin im Kampf um unsere Bedeutung. Denn was wären 100 Jahre Lebenszeit ohne Bedeutung, ohne Verantwortung?
Ein Beispiel waren die Streiks der Drehbuch-Autoren und Schauspielerinnen. “Kreativität muss weiter von Menschen ausgeführt werden” war die verzweifelte Forderung.
Eine ganze Branche bangt um ihre Existenzberechtigung, denn am Ende geht es auch in Hollywood nur um eins, um den Profit. Und wenn die Gage einer digitalen, selbst denkenden Persönlichkeit niedriger ist…
Bleibt uns noch eine Möglichkeit? Na klar. Die Lieblingsdisziplin der Menschheit:
Augen verschließen und sich der neuen Situation anpassen. Die Handys aus und dann Familie gründen, also Verantwortung übernehmen, oder sich kinderlos streiten und Vorwürfe machen, oder sich durch die Welt vögeln. Alles möglich. Die Welt klein und überschaubar halten, den ganzen KI-Kram gar nicht an uns ranlassen… aber Moment mal… was ist wenn irgendwann die Kündigung im Briefkasten liegt und der nächste Job nicht so leicht zu finden ist, wie gedacht? Wenn meine natürliche, mittelmäßige, kognitive Kapazität nicht mehr gefragt ist?
Gehen wir dann auf die Straße?! Oder folgen wir den Vorschlägen der Regierungen, die ungefähr so aussehen könnten.
”Liebe Bürgerinnen und Bürger, bitte entspannen sie sich, bestellen sie sich neue Schuhe, schalten sie die Bildschirme an und spielen sie, schauen sie. Es gibt nichts mehr zu tun, also genießen Sie die Früchte, die der technologische Fortschritt für sie bereitgestellt hat. Falls Sie sich wütend fühlen, gibt es für Sie kostenfreie Medikamente. Lehnen sie sich zurück, es ist alles in bester Ordnung. Das Bordprogramm ist voll gepackt mit actionreichen Blockbustern, nehmen Sie selbst bitte Abstand vom Handeln. Ihre Regierung wünscht einen angenehmen, sehr langen Flug durch die Weiten der Belanglosigkeit.”
Das bequeme Leben zermürbt mich in 2023. Wo kann ich etwas beitragen? Was ist mein persönlicher Sinn?
Kinder sind fantastisch geeignet sich diese Frage die nächsten 15 Jahre nicht stellen zu müssen. Mit Kindern kreisen wir nicht permanent um uns selbst… ist doch so oder? Der Sinn ist dieses Kind mit Liebe und Materiellem zu versorgen. Fertig. Da ist doch die Lösung! Aber wenn ich keine Kinder möchte? … dann ist dir auch nicht mehr zu helfen.
Auf in die nächsten drei Viertel! Wooohooo!
(Ich sollte wirklich aufhören zynisch zu sein…)
Danke fürs Lesen!
Bis nächsten Montag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Wenn du mich möchtest, antworte mir auf diesen Brief oder teile den Newsletter mit jemandem den du kennst. Danke!
Hab eine gute Woche!
Dein Felix