Hey Du,
Gerade faszinieren mich die 1920er Jahre. Aufbruch, Armut, Populismus…Progressive politische Gedanken gegenüber radikalen nationalistischen Forderungen. Gerade das Jahr 1923 ist in der Rückschau ein unglaublich wichtiges, weshalb Christian Bommarius mit “Im Rausch des Aufruhrs” ein Buch darüber geschrieben hat, das ich mir in der Bücherei ausgeliehen habe. Es erzählt kurze Tatsachen-Geschichten, von Januar bis Dezember, die ein Bild dieser Zeit, dieser Gesellschaft zeichnen und die verständlich machen wie ambivalent diese Nachkriegszeit zwischen bitterer Armut und blühender Unterhaltungskultur war
.1923 ist das Deutsche Reich, die Republik, bei seiner eigenen Bevölkerung, durch Kriegsanleihen hoch verschuldet. Gleichzeitig sind die Reparationsverpflichtungen gegenüber den Siegermächten des Krieges exorbitant.
Der Rückstand dieser Zahlungen sorgt einerseits für die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien, andererseits für eine Hyperinflation und Hunger.
Im Januar kostet ein Kilo Roggenbrot 250 Mark (34 Pfennig hatte es 1917 gekostet)… im August sind es 840 Milliarden Mark.
Die Regierung um Präsident Friedrich Ebert ruft zum gewaltlosen Widerstand auf, die sich neu formierte NSDAP und andere Nationalisten fordern Vergeltung und letztendlich erneuten Krieg um die Würde der Nation wiederherzustellen.
Dann ist da da offener Juden-Hass, gleichzeitig Nackt-Tänze, wilde Partys, Drogen, die Intellektuellen und Künstler in ihrer eigenen Welt, Kriegsversehrte mit Traumata, Hungernde Arbeiterkinder, freie Liebe, ein neues Frauenbild - selbstbewusst, Auto fahrend, Bubikopf, Smoking und Monokel tragend - nicht mehr “nur Mutter”.
Vergnügen auf der einen, und Überleben auf der anderen Seite, spaltet das Land. Die einen nutzen das Opium, Koks und Morphium für Exzess und Lust, die anderen zum Vergessen, zum “Verarbeiten” des Grauens. Ein idealer Nährboden für Propaganda, falsche Versprechungen und “Wir gegen Die”-Gedanken.
Diese Spaltung kommt uns doch gerade nicht unbekannt vor oder? Auch wenn die Grundlage weit weniger ausweglos ist. Das Problem: heute kann es für uns wirtschaftlich nach unten gehen, vor hundert Jahren war man bereits am Boden. Und liegt darin nicht die heutige Angst vieler? Das wir zu lange “floriert”, dass alles immer besser wurde, und dass das ja auch irgendwann vorbei sein muss…
Gerade suchen sich die Ängstlichen und Dummen Nationalisten wieder “SCHULDIGE”, die keine sind, die nie welche sein werden. Wie 1923, vor hundert Jahren.
Aber wie lebt es sich für dich heute im Jahr 2023? Das ist eine subjektive Frage. Jeder und Jedem wird etwas anderes einfallen. Kriege und Konflikte, Künstliche Intelligenz, Populäre Plattformen, Menschen, Meinungen, Black Fridays, Diskriminierung, Manipulation, NFL, bröckelnde Großmächte, Taylor Swift? Schreib mir gerne deine Gedanken dazu! (einfach nur auf die E-Mail antworten…dann müsste deine Antwort bei mir ankommen)
Ich werde im nächsten Brief mir Gedanken dazu machen.
Bis nächsten Montag: Gleicher Ort, gleiche Zeit.
Wenn du mich möchtest, antworte mir auf diesen Brief oder teile den Newsletter mit jemandem den du kennst. Danke!
Hab eine gute Woche!
Dein Felix