Ich dachte abstrakte Kunst ist nichts für mich?!
#39 Ein Besuch im Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden
Egal ob Städel, MoMa, Centre Pompidou, neue Pinakothek oder Stedelijk… egal in welchem modernen Kunstmuseum wir sind, bin ich immer erstmal auf der Suche nach Sachen die ich erkennen und interpretieren kann. Meine ersten Anlaufpunkte sind Otto Dix, Francis Bacon und alles Düstere dazwischen.
Abstrakte Kunst? Nein danke, passt schon.
Jetzt hat vor kurzem das “Museum Reinhard Ernst” (voller abstrakter Kunst) in Wiesbaden aufgemacht und alle sind begeistert. Allein wegen der Architektur möchte ich da rein… nicht wegen der Kunst… oder doch?
Gestern am Dienstag ist es gegen 14:00 Uhr vor dem Eingang schattig und gedrungen, hinter der Drehtür treten wir dann in einen beeindruckend offenen Eingangsbereich. Ich mag diese modernen Kunst-Gebäude, die fast verschwenderisch mit Licht und Raum umgehen dürfen, nicht wie Hotels oder Bürogebäude, die immer auch eine Funktion erfüllen müssen.
Wir kaufen zwei Tickets für jeweils 14 Euro (Familien zahlen mit Kindern ebenfalls 28 Euro)
Wer schon ein paar moderne Kunst-Museen von innen gesehen hat, weiß, dass die Toiletten oftmals schon ein Highlight der ganzen Erfahrung sind. Als Melina, die schwangerschaftsbedingt gerade immer häufiger Wasser lässt, von dort kommt, leuchten die Augen: “Dreieckiges Waschbecken, riesiger Spiegel, automatische Schiebetür trennt Toiletten vom Rest”
Schon an diesem kleinen Detail, der Trennung von Wasch- und Toilettenraum, ist die japanische Architektur von Famihiko Maki zu erkennen. In Japan ist es nicht ungewöhnlich extra abgetrennte Räume zum “Schön machen” neben den Toiletten zu haben. Die klare Trennung zweier Handlungen, die nicht viel gemeinsam haben.
Maki selbst, mit 96 Jahren 2024 verstorben, war eine große Nummer in Sachen Architektur. Insgesamt 10 Kunstmuseen (das Museum Reinhard Ernst war das 10. und letzte), diverse Gebäude für Universitäten, Firmen und Privatpersonen und mit dem “Four World Trade Center” eines der Gebäude im Memorial Park in New York, hat er entworfen.
Dem Schaffen von Maki, einem langjährigen Freund von Reinhard Ernst, ist aktuell noch eine eigene kleine Ausstellung gewidmet.
Jetzt aber zur Dauerausstellung: Reinhard Ernst wurde als Unternehmer wohlhabend und besitzt heute eine große Privatsammlung von 900 Werken. Um diese zu präsentieren gingen sie in eine Stiftung über, die dann den Museumsbau in Wiesbaden ermöglichte.
Jetzt aber zum Eigentlichen: Wie ist die Erfahrung? Macht der Besuch Freude?
Ich muss zugeben… Es macht mehr Freude als ich für möglich gehalten hätte!
Die großen, hellen Räume, die verwendeten Materialien, die großformatigen Gemälde und Skulpturen. Jedes Kunstwerk bekommt genug Platz um zu wirken. Und damit kommen wir schon zum Wichtigsten: WIRKEN
Wer ohne Audio-Guide unterwegs ist, darf erstmal einfach nur schauen und verarbeiten. Die, teils riesigen, abstrakten Gemälde sprechen durch Farben unsere rechte, kreative Gehirnhälfte an, und lassen die links-rationale ausnahmsweise mal außen vor. Das tut gut, fühlt sich an wie eine mentale Auszeit.
Der Kontext, die Geschichte hinter dem Bild, die Bedeutung… all das ist, wenn man denn möchte, zweitrangig.
Dafür scheint das Museum uns die “Erlaubnis” zu geben, weil es so unkompliziert und klar ist. So macht abstrakte Kunst einfach Spaß!
Dann sind da noch die kleinen Geschichten und Begegnungen, die die Menschen im Innern erzählen und ermöglichen:
Ein vielleicht sechsjähriger Junge presst seinen Kopf neben ein Bild aus Plexiglas um zu sehen was sich im Inneren befindet. Er wird vom Personal aufgefordert Abstand zu halten… “Aber ich muss…” höre ich ihn noch auf angenehm kindliche Art und Weise seine Diskussion beginnen, bevor ich außer Hörweite bin.
Eine ältere Frau fährt in ihrem Rollstuhl an einem Bild aus Nägeln vorbei und sagt beiläufig zu ihrer Begleitung: “Ah das ist der Ücker… von dem hab ich auch was”
Melina dreht sich im nächsten Raum zu mir um und sagt: “Ich glaube wir wollen gar nicht wissen wie viele sehr reiche Menschen hier rumlaufen”Ich werde von einer Frau angesprochen, die mich erkennt. Sie hat vor Jahren eins meiner Bilder gekauft. “Es hängt bei uns im Esszimmer und wir haben jeden Tag Freude daran. Alle die uns besuchen sind auch immer ganz begeistert” sagt sie. Ich bedanke mich bei ihr und wir halten noch etwas Small-Talk. “Das war jetzt ein ganz schöner Ego-Boost oder?” sagt Melina einige Meter weiter und lächelt. “Ja”, antworte ich mit immer noch rotem Kopf.
Wir haben fast zwei Stunden im Museum verbracht, uns hin und wieder gesetzt, uns unterhalten.
Ganz bewusst Zeit miteinander und mit sich selbst verbringen…- das ist vielleicht das größte Geschenk des neuen Museums.
Die Namen der Künstler und Künstlerinnen spielen hier keine übergeordnete Rolle.
Wo in den ganz großen Kunst-Museen, allein die Namen von Picasso, Van Gogh und Monet oft schon Ehrfurcht auslösen und eine unabhängige Betrachtung unmöglich machen, dürfen hier die Werke (trotz bekannter Künstler und Künstlerinnen) für sich sprechen.
Ein Werk hält eine Überraschung bereit, die ich nicht vorwegnehmen möchte. Ich zeige es dir zwar jetzt, aber was es ist, findest du selbst heraus! Keine Angst vor abstrakter Kunst!
Museum Reinhard Ernst
Bis zum nächsten Mal
(Wenn du mehr lesen möchtest, schau auf meiner Blog-Seite vorbei, für Videos auf meinem Youtube-Kanal)
Dein Felix